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Eine Kultur, die nicht läuft, ist bereits besiegt (FAZ,13,2009)

Rebecca Solnit

"... Ein Ort wird nur in dem Maße lebendig, wie man ihn benutzt. Dichte, alternative Verkehrsangebote, Fußgänger, genug Leute auf der Straße, um sich sicher zu fühlen... Ich glaube, diese konventionellen Eigenschaften machen einen Ort aus. Ich habe fast fünfundzwanzig Jahre lang in San Francisco in einem Stadtteil gewohnt, der als arme afroamerikanische Nachbarschaft begann und dann zu einer Gegend der weißen Mittelschicht wurde. Die Hinzugezogenen gingen nicht mehr aus dem Haus oder nur im Auto. Sie hatten gar keine Vorstellung von ihrer Nachbarschaft, der Ort hatte keinerlei urbane Bedeutung mehr... Mir aber war immer wichtig, daß unser Protest gegen die Verdrängungsprozesse in der Stadt zum Kampf um die Basis der bürgerlichen Gesellschaft gehört, um das Fundament einer Kultur. Wenn ich mein Buch ("Hollow City") noch einmal schreiben würde, dann würde ich meine Aufmerksamkeit mehr auf die Profiteure des Immobilienbooms richten. Sie haben hohe Profite eingefahren und nur sehr wenig für die Stadt und ihre Einwohner getan...

Im öffentlichen Raum halten nur die wenigsten von uns inne. Gehen ist eine Möglichkeit, Orte durch körperliche Erfahrung miteinander zu verbinden - man durchmißt und erlebt den Raum zwischen zu Hause und dem Kino oder dem Arbeitsplatz oder dem Park. Es ermöglicht uns, sich unter Fremden zu Hause zu fühlen. Ohne das funktioniert Demokratie nicht.  Eine Kultur, die nicht läuft, ist eine bereits besiegte Kultur. Man kann Protest und Aufbegehren nicht im Auto und auch nicht im Internet ausüben."

(aus: internationales literaturfestival berlin, 9, 2009)

"Rebecca Solnit wurde 1961 in Kalifornien geboren. Die Essayistin und Histo- rikerin arbeitete für Museen und als Redakteurin und ist seit 1988 freie Schrift- stellerin. In ihren Essays spürt sie thematischen Verbindungen aus Kunst- und Kulturgeschichte nach und stellt faktenreich Parallelen zur unmittelbaren Gegen- wart und zu zeitgenössischem politischen Aktivismus her. Ihr so kenntnisreiches wie couragiertes Werk wird mit demjenigen Susan Sontags verglichen...

"Wanderlust" (2000), Solnits bislang bekanntestes Buch, wird 2007 auch in deut- scher Übersetzung erscheinen. Diese Kulturgeschichte des Gehens behandelt - wie die Autorin schreibt - "Gehen als kulturelle Aktivität: von den peripatetischen Philosophen der griechischen Antike zu den zeitgenössischen paleontologischen Thesen über die Evolution des aufrechten Ganges; von einem ästhetischen Ver- gnügen im England des 18. Jahrhunderts zur Ausbreitung politisch aktiver Wan- dervereine zur Jahrhundertwende und der Entstehung der Outdoor-Industrie und von Kletterhallen, Fußgängeraufständen und der Gender-Politik des öffentlichen Raumes".  Eine melancholische Topographie San Franciscos legte sie mit "Hollow City" (2001; "Ausgehöhlte Stadt") vor. Diese von Fotoessays begleitete Studie dokumentiert, wie der Reichtum, der von der Computerindustrie in dieser Stadt erworben wurde, den Verlust urbaner Vielfalt nach sich zog...


Solnit wurde für ihr Werk mit dem Lannan Literary Award und dem National Book Critics Circle Award ausgezeichnet und erhielt Stipendien der Guggenhein Founda- tion und des National Endowment for the Arts. Sie ist Kolumnistin des Magazins "Orion", veröffentlicht regelmäßig im Umweltmagazin "Sierra" sowie in Kunst- zeitschriften, Museumskatalogen und auf der Internetseite "tomdispatch.com". Die in Umwelt- und Menschrechtsbewegungen aktive Autorin lebt in San Francisco."