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Ist die Soziale Marktwirtschaft gefährdet?

Anton Rauscher


Kirche und Gesellschaft, 358, Herausgegeben von der Katholischen Sozial-wissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach, 2009, ISBN 978-3-7616-2121-9, Auszug, Foto: Kardinal Lehmann mit Anton Rauscher

"Wir müssen Gott dankbar sein dafür, daß nach der Kathastrophe von 1945 der Wiederaufbau in Westdeutschland im Zeichen der Sozialen Marktwirtschaft erfolgte. Daran waren Politiker wie Konrad Adenauer und Ludwig Erhard und Wissenschaftler wie Walter Eucken, Franz Böhm und Wilhelm Röpke maßgeblich beteiligt. Über die Parteiengrenzen hinweg war man sich einig, daß die kapita-listische Klassengesellschaft von vor 1933 nicht mehr wiederkehren dürfe. Die bürgerlichen Parteien wollten aber auch kein sozialistisches Wirtschaftssystem, das in der Sowjetunion, in der DDR und in den osteuropäischen Ländern den Menschen aufgezwungen wurde und das weder wirtschaftlich leistungsfähig noch sozial gerecht war. Der Architekt der Sozialen Marktwirtschaft, Alfred Müller-Armack, setzte sich schon 1946 dafür ein, daß die neue Wirtschaftsordnung nicht einem Marktautomatismus überlassen bleiben dürfe, sondern auf den Grundwer- ten der Freiheit und der Gerechtigkeit errichtet werde müsse. Diese Auffassung kam einer  geistigen Revolution gleich. Nicht irgendwelche Automatismen des Marktes und ebensowenig eine von der Staatsmacht verordnete Ideologie sollten die entscheidenden Grundlagen des Wirtschaftens sein, sondern die geistig-sittlichen Grundwerte Freiheit und Gerechtigkeit sollten die Ordnung tragen, um "Wohlstand für alle" zu schaffen, wie Ludwig Erhard die Soziale Marktwirtschaft verstand...


 
Walter Eucken
 
 
Alfred Müller-Armack
 
Franz Böhm
 

Konrad Adenauer
 
Wilhelm Röpke

"Nicht die freie Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums einer ver- gangenen Ära, auch nicht das "freie Spiel der Kräfte" und dergleichen Phrasen, mit denen man haussieren geht, sondern die sozial verplichtete Marktwirtschaft, die das einzelne Inidividuum wieder zur Geltung kommen läßt, die den Wert der Per- sönlichkeit obenan stellt und der Leistung dann aber auch den verdienten Erfolg zugute kommen läßt, das ist die Marktwirtschaft moderner Prägung".

Ludwig Erhard, 28. August 1948, auf dem 2. Parteikongreß der CDU der britischen Zone in Recklinghausen.


Die Stärkung der persönlichen Haftung (Rauscher)

... Das Auseinandertreter der Eigentümer- und Managerfunktionen hat sich immer mehr ausgeweitet. Während der Eigentümer-Unternehmer, der für seine wirt- schaftlichen Entscheidungen mit seinem Vermögen haftet, eher zu einer lang- fristigen und vorsichtigen Abschätzung der Chancen und Risiken neigt, sind Mana- ger vor allem an kurzfristigen Gewinnchancen interessiert und deshalb auch bereit, höhere Risiken einzugehen, zumal sie für Mißerfolge nicht mit ihrem Privatver- mögen einzustehen haben. Dies gilt im verstärkten Maße für Bankmanager, Fi- nanzmakler und Börsianer, die oft nur kurze Zeit für ein Finanzinstitut arbeiten.

Die Haftung der Eigentümer gehört zur sozialen Ordnungsfunktion des Privat-eigentums. Sie bewirkt, daß der Eigentümer nur diejenigen Risiken einzugehen pflegt, die für ihn und seine Vermögens- und Arbeitsposition tragbar sind. Die soziale Ordnungsfunktion des Privateigentums sorgt dafür, daß der Eigentümer "verantwortlich" handelt und hohe Risiken scheut, die ihn ruinieren könnten. Die Haftung bewahrt ihn davor, sich wie ein Spieler zu verhalten. Je weniger Spieler und je geringer die Spielermentalität in einer Gesellschaft sind, umso solider wer- den die wirtschaftlichen Entscheidungen sein, was auch der Belegschaft zugute kommt. ..



Die Verantwortung des Staates (Rauscher)

... So sehr der Staat bestrebt sein muß, eine möglichst hohe Beschäftigung zu si- chern, so muß sich eine Politik, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, doch auch die Frage stellen, ob die Güter, die ein Unternehmen herstellt, auf den Märkten auch gekauft werden... Grundsätzlich muß sich der Staat bemühen, ein guter und ge- rechter Anwalt des Gemeinwohls zu sein. Aber der Staat kann nicht den Unter-nehmer ersetzen, der in einer hochentwickelten Wirtschaft die unternehmerischen Entscheidungen fällen muß. Was das Verhältnis von Staat und Wirtschaft betrifft, so hat Papst Johannes XXIII. (Foto oben) in der Sozialenzyklika "Mater et Magi- stra" (1961) zu Recht gemahnt. "Die Sorge des Staates für die Wirtschaft, so weit und so tief sie auch in das Gemeinschaftsleben eingreift, muß dergestalt sein, daß sie den Raum der Privatinitiative der einzelnen Bürger nicht nur nicht einschränkt, sondern vielmehr ausweitet..." (Nr. 55).

Dr. theol., Dr. h. c. mult., lic. phil. Anton Rauscher, Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Augsburg; Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Sozialstelle, Mönchengladbach.