~~ CHRISTLICH - SOZIALE POSITION ~~ ~~~ ~~~ INITIATIVE MENSCH & ARBEIT ~~~~~~~~~~~~~


Milliarden für die Konjunktur werden wenig nützen, wenn die Regierungen der Finanzwelt nicht endlich Regeln vorgeben

Helmut Schmidt

DIE ZEIT, 4, 2009, Auszug



 

 
 


"... Die deutsche Bundesregierung hat sich mit Recht schon 2007 für eine stärkere Regulierung der globalen Finanzindustrie eingesetzt. Nach langem Zögern, vor allem in Washington und London , fand sich Mitte November 2008 endlich ein Konsilium der Regierungschefs der 20 ökonomisch wichtigsten Staaten in Wa- shington zusammen, einschließlich Chinas, Indiens, Rußlands, Saudu-Arabiens, Brasiliens, Mexikos - ein sogenannter G-20-Gipfel über Finanzmärkte und Welt- wirtschaft (ich habe mir das Wort "endlich" erlaubt, weil ich dergleichen schon seit Jahren, auch amerikanischen Regierungspersonen, vorgeschlagen hatte, - freilich ohne Erfolg). Weil das G-20-Treffen inhaltlich von Finanzministern und Noten- bankchefs vorbereitet worden war, konnte ein zehn Stein langer Katalog von ge- meinsamen therapeutischen Richtlinien und detaillierten Absichtserklärungen ver- abschiedet werden. Davon sind viele Punkte auf "sofortige Maßnahmen bis zum März 2009" gerichtet; andere dagegen sollen erst mittelfristig verwirklicht werden. Allerdings sind die meisten der prinzipiell richtigen Punkte unscharf und deshalb sehr auslegungsfähig formuliertg. Vor allem aber hat sich keine der beteiligten Re- gierungen in bindender Weise festgelegt. Keines der vorhandenen internationalen Organe ist mit der Verwirklichung der zahllosen Absichterklärungen beauftragt worden. Es bleibt offen, ob etwa der Internationale Währungsfonds (IWF) oder das Forum für Finanzstabilität (FSF, 1999 von Hans Tietmeyer ins Leben gerufen) oder der "Basler Ausschuß" im Hause der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) oder die formlose "Group of Twenty" der Finanzminister und Zentralbanker eine tatkräftige Verfolgung der schönen Absichten betreiben soll...

Heute konzentrieren sich die Regierungen und Parlamente vieler Staaten darauf, einige Banken mithilfe umfangreicher Bürgschaften zu retten, durch Übernahme ihrer notleidend gewordenen Aktiva und durch öffentlichen Ankauf neuer Aktien (sogenannte Verstaatlichung). Zugleich greifen Notenbanken in gleicher Weise ein. Dies ist in den meisten Fällen zweckmäßig, wenngleich es die Staatshaushalte in un- erhörter Weise ins Defizit stürzt und wenngleich die unorthodoxe enorme Vermeh- rung der Geldmenge in Dollar und Sterling künftige Gefahren bedeutet. Dadurch allein wird aber das Vertrauen in die Funktionssicherheit der Finanzmärkte nicht wiederhergestellt und ebenso wenig durch die vielen nationalen "Konjunktur- und Investitionsprogramme".

Die vernetzte Weltwirtschaft kann aber wegen der Depressionsgefahr nicht noch Jahre auf die Gesundung der Finanzmärkte warten! Deshalb erscheint es mir zweckmäßig, daß die G-20-Staaten einige besonders einschneidende Schritte vorziehen. Dafür kommen per Gesetz oder Verordnung infrage:

1. Alle privaten Finanzinstitute (inklusive Investmentbanken, Hypothekenbanekn, Investment- und Pensionsfonds, Hedgefonds, Equity Trusts, Versicherungs- gesellschaften et cetera.) und alle marktgängigen Finanzinstrumente werden derselben Banken- und Finanzaufsicht unterstellt.

2. Die Banken- und Finanzaufsicht legt für alle Branchen der privaten Finanzin- stitute Eigenkapital-Minima fest.

3. Den Finanzinstituten werden jegliche Geschäfte außerhalb der eigenen Bilanz (und der Gewinn-und-Verlust-Rechnung) verboten und unter Strafe gestellt.

4. Allen Finanzinstituten wird bei Strafe der Handel mit solchen Finanzderivaten und -zertifikaten verboten, die nicht an einer anerkannten Wertpapierbörse zugelassen und notiert sind.

5. Es wird allen Finanzinstituten bei Strafe verboten, per zukünftigen Termin Wertpapiere und Finanzinstrumente zu verkaufen, die sie zur Zeit des Verkaufes nicht zu eigen besitzen. Damit weird die Spekulation auf fallende Kurse ("Shortselling") erschwert.

6. Finanzanlagen und Finanzkredite zugunsten solcher Unternehmen und Personen werden per Strafe verboten, die rechtlich in Steuer- und Aufsichtoasen registriert sind.

Selbstverständlich werden die Wortführer der internationalen Finanzindustrie mit raffinierten Argumenten gegen solche Gesetze protestieren. Selbstveständlich werden einige marktradikal orientierte Regierungen diesem Protest nachgeben, zumal sie sich ohnehin in der unangenehmen Zwangslage befinden, die Erfahrung und Expertise der bisherigen Übeltäter zu benötigen. Deshalb ergibt sich die Frage, ob nicht die 16 europäischen Staaten allein vorangehen sollen, die sich zur gemeinsamen Euro-Währung zusammengeschlossen haben..."