~~ CHRISTLICH - SOZIALE POSITION ~~ ~~~ ~~~ INITIATIVE MENSCH & ARBEIT ~~~~~~~~~~~~~


Milch: Natur aus der Fabrik

Ein Reaktor namens Kuh erzeugt täglich sechzig Liter Milch. Bevor diese in den Handel kommt, wird sie zerlegt, gerüttelt und neu zusammengesetzt. Ein Blick hinter die Kulissen einer Hochleistungsindustrie.

ZEIT, 6, 2009, Tanja Busse und Urs Willmann (Auszug)

"Solange DE 1300188124 nicht auf die Weide muß, geht es ihr blendend. Stellte man sie aber mitten in die Natur, fiele sie vermutlich ins Koma. Als moderne Hochleistungskuh verkraftet sie pflanzliche Rohkost nicht: Erst würde sie sich, immer hungrig, wie sie ist, und an 50 000 Kilokalorien pro Tag gewöhnt, den Pansen mit frischem Gras füllen. Die ungewohnte Diät bekäme ihr schlecht. Ihrem Hochleistungsorganismus - eingestellt auf stetigen Nachschub an Kraftfutter -reichten Löwenzahn, Klee und Pfeifengras bei Weitem nicht, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Zur Deckung des Energiebedarfs zapft der Körper der Kuh bei Nahrungsmangel seine Reserven an; die Leber verwandelt Fett in Ketone, als Notbrennstoff für Muskeln und Gehirn. Die riesigen Mengen Ketone, die das Blut nun zu transportieren hat, überfordern den Organismus. "Das führt im Extremfall zum komatösen Zustand", sagt Harald Hammon, Ernährungsphysiologe am Fo- rschungsinstitut für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere (FBN) in Dum- mersdorf. Beim Umgang mit den Leistungsträgerinnen der heutigen Milchwirt- schaft ist Vorsicht geboten. Muß sich eine Holstein-Schwarzbunte wie DE 1300188124 natürlich ernähren, beginnt ihr Überlebenskampf."Sie kann sich von so einer Ketose erholen", sagt Hammon. "Aber sie kann auch daran sterben." Eine Kuh, die 50 Liter Milch gibt, kann man mit Gras nicht ausfüttern", sagt Physiologe Hammon. Die Tiere auf Gut Dummersdorf, das gleich neben dem Forschungsin-stitut liegt, kauen daher Mais- und Grassilage. Das Futter ist mit einem Mix aus Mi- neralstoffen und Vitaminen ergänzt. Weil sie erst kürzlich gekalbt hat, gehört DE 1300188124 zur Gruppe der Kühe, die vom selbst fahrenden Futtermichwagen die Spezialration erhalten. "Da sind noch 1,4 Kilogramm Eiweiß und 300 Gramm pan- sengeschützte Fette pro Tier und Tag drin", sagt Andreas Heklau, ihr Herden- ma- nager. Und wie jeder moderne Ausdauerathlet bekommt sie einen "Energieriegel" - eine Extraportion schnell verfügbare Zucker (Melasse oder Dextrose)...



Seit immer mehr kleine Molkereien schließen und große zu noch größeren fusio-nieren, muß die Milch immer weiter transportiert werden, bei der mecklenbur- gischen Molkerei Hansonao bis zu 200 Kilometer - und das ist im Vergleich zu manchen Großmolkereien noch eine kurze Strecke. Der Molkereiwagen kommt nicht mehr zweimal täglich, gleich nach dem Melken, sondern nur noch alle zwei, bei manchen Molkerein alle drei Tage. In dieser Zeit wird die Milch unter sechs Grad gekühlt und verliert so ihre Fähigkeit, sauer zu werden, also zu Dickmilch zu fermentieren. Die Milchsäurebakterien sterben ab, und langsam vermehren sich kältetolerante Keime, die zwar nicht gesundheitsschädlich sind, aber die Eiweiße in der Milch spalten könne. Deshalb wird die gekühlte Milch nicht sauer, sondern bitter oder faulig... In der Molkerei wird die Milch in ihre Bestandteile zerlegt und neu zusammengebaut. Eine Zentrifuge trennt Magermilch und Rahm voneinander, die aber gleich darauf vereinigt werden, nach Fettstufe dosiert. So entstehen die standardisierten Produkte - Vollmilch, teilentrahmte oder fettarme Trinkmilch -, ganz gleich, wie fettreich die Milch war, die die Bauern geliefert haben. Soll die Milch homogenisiert werden, wird sie erwärmt und mit großem Druck durch eine kleine Öffnung gepreßt. Dabei werden die Fettkügelchen so zerkleinert, daß sie nicht mehr an die Oberfläche aufsteigen können...

Früher hatte die Milch kurze Wege. Sie spritzte aus dem Euter in den Melkeimer, wurde von da in die Milchkanne gegossen und auf dem Pferdewagen in die Mol- kerei im nächsten Ort geschaukelt. "Auf Händen getragen", sagt Andreas Siegert, der Betriebsleiter der kleinen nordhessischen Upländer Bauermolkerei - eine an- gemessene Behandlung für den empfindlichen Stoff. Heute wird die Milch gerüttelt und geschüttelt, geschleudert und gepumpt: von der Melkanlage in den Tank ne- ben dem Kuhstall, dort vom Rührwerk in Bewegung gehalten, dann durch eine Pumpe in den Tankwagen, beim Transport gerührt und schließlich durch eine Pumpe in die Kühltanks der Molkerei. "Das ist nicht die Milch, vor allem wenn sie viel gepumpt wird", sagt Andreas Siergert. "Beim Pumpen wird die kalte Milch so geschleudert, daß die Schutzhülle der Fettkügelchen aufplatzen kann. Dann kön- nen die Enzyme das freie Fett in der Milch zerlegen. Dabei entstehen Spaltpro- dukte, die zum Beispiel Butter ranzig werden lassen."...