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Auf dem Weg zur Einheitskasse

Zum Start der Gesundheitsreform: Was passiert, wenn Privatisierer und Ver- staatlicher gemeinsame Sache machen (von Norbert Blüm, ZEIT, 31. 12. 2008)

"Die Krankenversicherung ist ein merkwürdig' Ding. Sie ist zwiespältig, ja janus- köpfig. Mit einem Gesicht blickt sie in den Himmel, mit dem anderen zur Erde. Krankheit ist eine Grenzsituation, in den schlimmeren Fällen dem Tod benachbart, in den extremen führt sie sogar zu ihm hin. Das sichert der Krankenversicherung den Blick hinauf. Andererseit steht sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Geschäfte. Es geht schließlich um Geld - viel Geld -, und Geld ist eine durch und durch irdische Sache. Über 160 Milliarden Euro werden in der gesetzlichen Kran- kenversicherung in Deutschland verteilt...

Was bringt das neue Gesetz?

Erstens: Mehr Staat. Ab sofort gilt ein Einheitsbeitrag für alle Kassen, und der wird vom Staat festgesetzt. Der Einheitsbeitrag ist die Tür zu einer zukünftigen Ein- heitskasse. Der einheitliche Beitrag löst auch die Erwar- tung einheitlicher Lösun- gen aus. Gliederung ist dann nur noch Dekoration. Am Ende steht weniger Subsida- rität und mehr Zentralismus. (Foto Blüm:  M. Gerhardt)


Zweitens: Es wird einen Gesundheitsfonds gebildet, der die Beiträge der Versicher- ten einsammelt und in Form von Pauschalen an die Krankenkassen weitergibt. Der Gesundheitsfonds schiebt sich zwischen die Beitragszahler und ihre Kasse. Das er- höht die Distanz zwischen dem Versicherten und "seiner" Kasse und schafft mehr Bürokratie und Anonymität. Das ist der zweite Schritt zur Einheitskasse.

Drittens: Es gibt einen neuen Spitzenverband der Krankenkassen, der 80 Prozent der Leistungsausgaben regelt. Das ist eine Behörde von Staatsgnaden, das Gesund- heitsministerium hat sie in der Hand. Die Selbstverwaltung der Krankenkassen wird an die staatliche Leine genommen. Sie hat nur noch wenig Auslauf. Das ist der dritte Schritt zur Einheitskasse...

Der zweite Teil der Reform bringt mehr Wettbewerb. Dies ist der andere Ausgang aus der Transithalle, jener, durch den die CDU gern gehen würde. Der Wettbewerb  soll von einem Zusatzbeitrag in  Höhe von maximal einem Prozent des beitrags- pflichtigen Einkommens ausgehen. Es gibt zwar einen einheitlichen Beitrag, aber weil enige Kassen den Zusatzbeitrag erheben müssen, zahlen die Versicherten am Ende doch nicht gleich viel. Bei dem Zusatzbeitrag geht es um einen klassischen Preiswettbewerb. Es gibt dabei zu bedenken. 20 Prozent der Versicherten ver- ursachen jene 80 Prozent, welche die Leistungen der Krankenkassen wenig oder nie in Anspruch nehmen, die Gesunden. Die restlichen 20 Prozent der Versicherten sind dagegen mehr an den Gesundheitsleistungen interessiert. Das sind die Kran- ken, vor allem die Schwer- und Todkranken. Eingeführt wird ein Wettbewerb, der auf die Gesunden zielt.

Der Zusatzbeitrag ist von der Struktur der Versicherten der einzelnen Kassen ab- hängig. Das führt zu einem verzerrten Wettbewerb um die einkommensstarken, ledigen, gesunden Versicherten. Der Zusatzbeitrag ist ein Vehikel der Entsolida-risierung. Der Anreiz, den er auslöst, gilt den lohnenden Leistungskomplexen, nicht den versorgungsintensiven. Begünstigt wird die Akutmedizin und eine marketingorientierte Wellness-Medizin. Der Preiswettbewerb ist nur eine Seite von Wettbewerb und Effizienz. Die Krankenversicherung hat nicht nur die Aufgabe, Beiträge in Proportionen zu halten, sondern vor allem, zu helfen, Kranke zu heilen. Den Wettbewerb auf Preise zu reduzieren, offenbart einen beschränkten Effizienzbegriff, der im Übrigen Sinn und Zweck der Krankenversicherung ver- fehlt. Diese Verengung passt sich fugenlos in ein neues, sozialstaatliches Paradig- ma. Im Fokus der neuen Sozialpolitik stehen nicht mehr Sicherungsziele, sondern Kostenziele. In der Rentenversicherung trag an die Stelle des Rentenniveaus ein Beitraghöchstsatz von 22 Prozent. In der Krankenversicherung ist alle Aufmerk- samkeit auf die Einnahmenseite gerichtet, und der Beitrag übernimmt die Steuerungsfunktionen.

Es gibt jedoch auch andere Wettbewerbsmodelle. Das deutsche Wirtschaftswunder war beispielsweise nicht das Ergebnis eines Wettbewerbs um niedrige Löhne, son- dern eher ein Wettbewerb, der mit der Qualitätsmarke "Made in Germany" geführt wurde. Staatsversorgung und Wettbewerb passen nicht zusammen. Deshalb ist die jetzige Reform keine Lösung der Probleme, sondern selbst eine Teil der Probleme, die sie zu lösen vorgibt. Doch möglicheweise führt der jetzt eingeschlagene Weg noch woanders hin, nämlich durch einen versteckten Ausgang in den Keller des Fürsorgestaates. Den Einheitsbeitrag kann keine Kasse ganz allein an neue Aus- gaben anpassen. Die Kasse mit einem hohen Anteil an Härtefällen, die vom Zusatz- beitrag befreit sind, wird schneller an ihre finanziellen Grenzen stoßen als andere Kassen. Was macht die Kasse, die mit dem Zusatzbeitrag die Lücke zur Kosten- decken nicht schließen kan? Sie macht den Laden dicht. Am Ende der Entwicklung steht nur noch eine Kasse - die Einheitskasse.

Aber warum soll eine Einheitskasse noch mit Beiträgen finanziert werden und selbstständig sein? In der Ratio dieser Entwicklung wird die Krankenversicherung in die staatliche Verwaltung eingemeindet und die Krankheitskosten Teil des Staatshaushaltes. Der wird bekanntlich Jahr für Jahr neu zusammengestellt und neu verteilt. Anstelle der subsidiären Sozialversicherung tritt der Fürsorgestaat. Die Obrigkeit erscheint als Wohltäter. Hartz IV läßt grüßen. Die überraschende Pointe, die sich im Keller offenbart, ist: die Verstaatlicher und Privatisierer arbei- ten sich wechselseitig in die Hände. Die Verstaatlicher sind auf die Schützenhilfe der Privatisierer angewiesen, denn die Armutsbekämpfung als Mindestsicherung deckt nicht die Nachfrage nach Sozialleistungen jenseits der Existenzsicherung ab. Sie ist auf Ergänzung angewiesen. Das ist dann die Stunde der Privatversicherung. Umgekehrt sind auch die Privatisierer auf den Staat angewiesen. Armutsbe- kämp- fung ist nämlich kein Geschäft, mit dem Privatversicherungen Gewinne machen können. Nach der Rosinen-Theorie fühlen sich die Privatversicherungen nur für die guten Risiken zuständig. Nur mit denen läßt sich Geld verdienen.

Ich verwette mein bescheidenes Vermögen, diese Reform ist ein "Transitorium". Ihre Lebensdauer wird kurz sein. Sie gilt nur übergangsweise.