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Wider den Trend

Das neue "Handbuch der Katholischen Soziallehre" stemmt sich gegen den Zerfall der Disziplin, indem es bewußt grundsätzliche Fragestellungen aufnimmt. Karl Kardinal Lehmann stellt das einmalige Nachschlagewerk vor.


(Auszug aus Rheinischer Merkur, 51/52 2008)



Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und Karl Kardinal Lehmann beim 80. Geburtstag von Anton Rauscher, SJ  (Mitte), dem Herausgeber des Handbuches in Mönchengladbach

"Es gibt eine eigentümliche Spannung in der schon länger gegebenen, aber auch in unsere Gegenwart hineinreichende Rezeption der Katho- lischen Soziallehre. Auf der einen Seite wird sie seit längerer Zeit als "dritter Weg" zwischen Liberalismus und Sozialismus/Marxismus gesucht und findet viel Interesse auch außerhalb der Kirche. Dies gilt nicht zuletzt auch für die grundlegenden Prinzipien, zum Beispiel der Subsidiarität, die überraschend auch Eingang gefunden hat in das grundlegende Vertragsrecht der Europäischen Union und ursprüng- lich zweifellos aus dem Bereich der Katholischen Soziallehre stammt.

Auf der anderen Seite aber ist besonders auch im Bereich des kirch- lichen Lebens und Lehrens zunehmend eine geringere Kenntnis der Katholischen Soziallehre zu beobachten. Es gibt aus methodischen und inhaltlichen Perspektiven gerade innerhalb der Kirche eine oft heftige Kritik der Soziallehre, nicht zuletzt aufgrund der Stütze, die sie im "Naturrecht" findet. Es ist aber auch zu vermerken, daß die Katholische Soziallehre in offiziellen Verlautbarungen, besonders den Enzykliken und entsprechenden Schreiben, und als wissenschaftliche Disziplin die Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Situation aufgenommen und fortgeführt hat.

Das Erscheinen des "Handbuchs der Katholischen Soziallehre" ist dafür ein bemerkenswertes Signal und ein wichtiger Einschnitt. Ich darf aber auch das "Komendium der Soziallehre der Kirche" nennen, herausgegeben vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden (Vatikan 2004, Freiburg im Breisgau 2006) - eine gute Synthese.



Natürlich hat es vom Alten und Neuen Testament über die Kirchen- väter und die klassische Theologie immer eine Befassung mit dem sozialen und besonders auch unternehmerischen verantwortlichen Handeln gegeben. Dies erfolgte weitgehend in der philosophischen und theologischen Ethik. Das 19. Jahrhundert brachte hier jedoch durch die Industrialisierung und die Verelendung breiter Bevölke- rungsschichten ene viel stärkere Dringlichkeit auf die "soziale Frage" einzugehen. Das Jahr 1848 und die unmittelbare Folgezeit bedeuten einen herausragenden Aufbruch des deutschen Sozialkatholizismus.

Die Wende des Mainzer Bischofs von Ketteler hin zur Sozialpolitik bedeutet hier einen wichtigen Einschnitt. Die Bedeutung reicht weit, wenn ich zum Beispiel an die erste Auflage des Staatslexikons der Görres-Gesellschaft (1889-1897), an die Zentrumspartei mit ihrem Sozialprogramm, aber auch noch an die Gründung von CDU/CSU mit den verschiedenen Programmansätzen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges denke. Es ist nicht zufällig, daß in dieser frühen Zeit auch der Begriff der "sozialen Gerechtigkeit" geprägt wird und eine immer größere Verbreitung erlangt.

Dies ist auch die Geburtsstunde der ersten Sozialenzyklika von Papst Leo XIII. "Rerum novarum" (1891/Foto: 1898 Segen), wobei der Papst Bischof Ketteler ganz bewußt eine Vorläufer nannte. Die Suche nach einer neuen, an- gemessenen wissenschaftlichen Disziplin, nämlich der Katholischen Soziallehre, fand einen ersten Höhepunkt in dem umfassenden Le- benswerk des Jesuiten Heinrich Pesch (1854-1924), das um die Jahrhundertwende erschien und im Programm des "Solidarismus" gipfelte...



 
 
         
                                                                                         
"... So besteht keine Zweifel, daß dieses Handbuch eine große Bedeu- tung haben wird für die Kirche und die Gesellschaft. Ich bin über- zeugt, daß sein Erscheinen auch zu einem wichtigen Zeitpunkt er- folgt. Es besteht dafür ein unübersehbares Kairos. Wir erleben nicht zuletzt in der Orientierungskrise, dies sich auch in der weltweiten Finanzkrise spiegelt, einen hohen Verlust von stabilen, kontinuier- lichen und verläßlichen Grundlagen und Wertmaßstäben. Diese be- treffen nicht zuletzt auch das Menschenbild und darin ganz besonders die Rangordnung der Grundüberzeugungen, die Achtung der Men- schenwürde in der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation und den wahren Umgang mit der Freiheit. Die Krise kommt von weit her. Wir können in diesem Dilemma der Orientierung wichtige Anregungen empfangen, die durch die Natur des Menschen und seine Geschichte bewährt sind und zugleich weltweite Geltung beanspruchen dürfen..."



"The grafic", Manchester, October 1876



"Past and Present", 1840

"... Ich wünsche mir auch, daß die katholischen Sozialethiker in unse- rem Land im Gespräch und vielleicht auch im Streit über dieses "Handbuch" wieder näher zueinander finden, auch wenn man sich darunter keinen einfachen Uniformismus vorstellen darf. Wir brau- chen aber über die Sache das intensive Gespräch, das in den letzten Jahren und wohl auch Jahrzehnten zum Teil schwer gelitten hat. Es ist nicht unmittelbar meine Aufgabe, den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an diesem "Handbuch" zu danken. Ich bin aber froh, daß sich so viele zu einem Beitrag entschlossen haben. Dies ist kein gering zu schätzende Leistung, und darin scheint mir auch ein gutes Signal zu liegen. In Ergänzung zu meiner Laudatio, die ich am 25. Oktober zum 80. Geburtstag von Anton Rauscher SJ in Mönchen- gladbach vorgetragen habe, gehört auch der ganz besondere Dank al- ler an ihn als den Hauptherausgeber dieses Werkes. Ich habe dort auf die heutige Präsentation verwiesen und hinzugefügt, daß mit diesem "Handbuch", das auch seine Kompetenz und Fähigkeit als Herausge- ber sowie als Vertreter der Katholischen Sozilalehre spiegelt, so etwas wie eine Krönung und Vollendung seines Lebenswekes gegeben ist."