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Mensch und Markt

Karl Kardinal Lehmann über die Schattenseiten des Homo oeconomicus. Prädoyer für eine lebendsdienliche Ethik des Wirtschaftens.



Kardinal Lehmann im Dialog mit Kardinal Ratzinger (2002)

Man hat viel zu schnell im Homo oeconomicus das Menschenbild der Wirtschaft und der ökonomischen Wissenschaften gesehen. Während viele Kritiker in diesem Modell ein "verkürztes Menschenbild" sehen, machen einige Ökonomen darauf aufmerksam, daß es dabei nicht um ein Bild im Sinne der Theologie und Philosophie geht. Es hat nicht die Absicht, den Menschen in der ganzen Fülle der fundamentalen Existenz zu beschreiben. Der Homo oeconomicus stellt vielmehr ein Modell  vom Menschen dar, das nur zu ganz spezifischen Forschungszwecken entwickelt worden ist.

Das Modell besitzt mehrere Stärken, von denen vier verdienen, hervorgehoben zu werden. Erstens ist es leistungsfähig im Hinblick auf die Erklärung von Verhal-tensweisen, da in vielen Handlungszusammenhängen das Streben nach indi- vidueller Nutzungoptimierung eine Rolle spielt. Zweitens ermöglicht das Modell häufig zutreffende Verhaltensprognosen und bietet so einen für die Steuerung von - insbesondere wirtschaftlichen - Prozessen nützlichen Einblick in mensch- liche Verhaltensweisen.  Drittens kann das Modell als hilfreich angesehen werden zur Schaffung rechtlicher Strukturen, die weniger Lücken besitzen, in denen bestimmte Normen selbstdurdsetzend sind und in denen sich Verbrechen nicht mehr lohnen. Viertens leistet das Modell bei der Schaffung sinnvoller Rahmen- bedingungen gute Dienste, indem es Situationsanalysen ermöglicht, durch die Kooperationsmöglichkeiten zum gegenseitigen Vorteil erkennbar werden. Wenn man sich dies vergegenwärtigt, muß man die gewiß begrenzte Funktion des Homo-oeconomicus-Modells zur Kenntnis nehmen und darf sich die Ausein-andersetzung nicht zu einfach machen. Es ist klar, daß die Geister sich am ehesten im Zusammenhang der Begründung einer Wirtschaftsethik scheiden.

Als Beispiel sei Peter Ulrich aus St. Gallen mit seiner "Integrativen Wirtschaft- sethik" angeführt, dier im Zusammenhang der Kritik einer "normativen Über- höhung der Logik des Marktes" urteilt: "Statt daß in sachgemäßter Weise der Markt in die sozialen Beziehungen eingebunden würde, werden diese in radikaler Umkehrung in den Markt eingebettet. Die Mißachtung des instru- mentellen Charakters des Wirtschaftens macht aus dem wirtschaftenden Menschen den "wirtschaftlichen Menschen" (Homo oeconomicus), läßt dessen zwischen- menschliche Beziehungen auf Tauschbeziehungen schrumpfen und führt so zur gedanklichen Entgrenzung der Idee einer effizienten Marktwirtschaft zur Ideologie einer totalen Marktgesellschaft."

So lassen sich manchmal Führungskräfte der Wirtschaft zur Rechtferigung unpopulärer Maßnahmen zu problematischen Argumenten verführen: "Der Markt zwingt uns zu..." (Sachzwangthese), ...aber es dient letztlich dem Wohl aller" (Gemeinwohlthese). Man kann diese verschieden deuten. Dahinter kann die Überzeugung stehen, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen sei wegen des "Zwangs" im Wettbewerbkontext und der notwendigenökonomischen Rationalität eine Wirtschaftsethik überhaupt nicht möglich. Manche argumentieren damit, eine ausdrückliche Berücksichtigung ethischer Gesichtspunkte im wirtschaftlichen Handeln sie im Rahmen eines modernen Wirtschaftssystems wohl auch gar nicht nötig. Es ist kla, daß  solche Annahmen gewisse Denkzwänge verursachen und den Blick auch auf die ethischen Herausforderungen der Marktwirtschaft verstellen können.

Unter den drei großen Leitideen, die die moderne Wirtschaft beherrschen, nämlich Vernunft, Fortschritt und Freiheit, geht es zunächst um ein vernünftiges Wirtschaften. Fast überall steht die Vorstellung im Vordergrund, daß die ökonomische Idee vernünftigen Wirtschaftens, nämlich aus der Erfahrungswelt produktiver  Arbeit stammende Idee des effizienten Umgangs mit knappen Resourcen oder Gütern, der Inbegriff der Rationalität oder Vernunft überhaupt sei. Besonders seit Beginn der modernen Industriegesellschaft vor ungefähr 200 Jahren gilt die Steigerung der Effizienz unseres Wirtschaftens und die damit erzielbare Wohlstandsvermehrung  als entscheidendes Prinzip des menschlichen und auh des gesellschaftlichen Fortschritts. Aber in den letzten Jahrzehnten stellt sich mehr und mehr auch die Frage, wohin dieser Fortschritt zielt und ob er in dem beinahe unendlichen Prozeß wirklich "vernünftig" bleibt. Jedem ist heute deutlich geworden, daß es zum Beispiel in der Produktion, im Güterverkehr und besonders auch in der damit verbundenen Umweltbelastung Unvernunft geben kann. Denn es kommt dabei auf eine Vernunft an, die auch die lebenspraktischen B elange des Menschen ins Auge faßt und nicht nur eine marktwirtschaftliche Systemlogik. Damit sind zwei grundlegende Kategorien angesprochen, die zum Kernbereich des europäischen ethischen Denkens gehören, nämlich die Idee vom guten Leben und die Forderung eines gerechten Zusammenlebens der Menschen. Damit aber wird das Problem des vernünftigen Wirtschaftens gerade auch angesichts eines ungebändigten Fortschritts, mit der Sinnfrage und der Legitimationsfrage verbunden. Wir wenden uns damit nicht gegen den sachlichen Gesichtspunkt ökonomischer Effizienz überhaupt, sondern wollen der Frage Nachdruck geben, wofür und für wen eine lebensdienliche (Markt-) Wirtschaft denn effizient funktionieren soll. Dabei können zum Beispiel Gesichtspunkte des internationalen, globalen Standortwettbewerbs, also die ökonomiche Effizienz, in erheblichen Konflikt kommen mit der konkreten Lebensdienlichkeit. Dies alles darf aber nicht als Plädoyer für ein ineffizientes Wirtschaften verstanden werden.

Deshalb ist es wichtig, die Ökonomie nicht einfach den Ökonomen zu überlassen. Gewiß gibt es Eigengesetzlichkeiten im "System" Wirtschaft. Dabei darf aber nicht vergessen werden, daß die Wirtschaft insgesamt mit ihren Vorausetzungen und ihren Folgen durchaus dem Kulturbereich angehört. Es genügt nicht, daß die Wirtschaft, ganz gewiß in bester Absicht und bei hoher Anerkennung, mit ihren Gewinnen kulturelle und soziale Projekte fördert., sondern sie muß auch in sich selbst und aus sich heraus im Bereich des Wirtschaftens stärker eine solche soziale, kulturell und politisch ausgerichtete ethische Sensibilität ausbilden. In diesem Zusammenhang darf auch nicht vergessen werden, daß viele Unter- nehmen ihre Kultur und "Philosophie" in ethischer Hinsicht übedacht haben und sich um die Gestaltungsmöglichkeiten und die Kompetenz ihrer Führungskräfte  für eine ethikfreundliche Leitung kümmern. Diese Selbstbindung darf in ihrem Gewicht nicht unterschätzt werden. "Ein Jahrhundert lang war das B ild von rationalen Menschen das Fundament des Denkens in der Ökonomie. Nun reißen die Forscher dieses glatte Fundament ein. Die Forscher halten uns keinen Homo oeconomicus mehr vor, kein rationales Ideal, dem wir entweder erfolglos nach- eifern oder das wir entrüstet abwehren. Eher schon ein Spiegelbild, in dem wir uns wiederfinden können, eine Art Homo oeconomicus humanus. Es ist höchste Zeit für diese Revolution von unten. Sie macht die Ökonomie wieder aufregend, spannend, lebens- und erfahrungsnah", schreibt Uwe Jean Heuser in seinem Werk "Humanomics" über die Entdeckung des Menschen in der Wirtschaft.

Vielleicht liegt der Grundfehler des Modells Homo oeconomicus, auch wenn es im Sinne eines theoretischen Konstrukt gemeint ist, darin, daß sich mit einem solchen Ansatz das Modell in Gefahr begibt, als System oder als Subsystem sich gegenüber seiner Umwelt und anderen System abzuschließen und zu verkapseln. Eine solche Operation im Sinne einer Reduktion kann in verschiedenen Wissen-schaften methodisch sinnvoll und in gewissen Grenzen notwendig sein. Wenn es aber grundlegend geschieht und eine Integration mit anderen Lebenssystemen ausschließt, wird dies zu einem Fall von "Reduktionismus". Das Ganze der Welt und des Menschen gerät aus dem Blick. In einem solchen engen Horizont kann dann auch die Frage nicht mehr beantwortet werden, wohin der Fortschritt zielt. Dies zeigt nochmals, wir spannend und reichhaltig das Thema des Homo oeconomicus ist und wie notwendig es bleibt, sich damit von allen Disziplinen und Verantwortungsbereichen vieler Wissenschaften intensiver zu beschäftigen, als es bisher geschehen ist. Dies gilt auch für die Politik und vor allem die Politikvberatung. Der Titel des Beitrages  heißt: "Der Schatten des Homo oeconomicus". Es ist deutlich geworden, warum das ambivalente und wandlungsfähige Phänomen des Homo oeconomicus auch von Schatten begleitet ist. In einem Schatten kann man manchmal besser die Wirkungen des Lichtes erkennen. Man ist dann aber auch nicht an den Schatten gefesselt. Man kann aus ihm heraustreten. Allerdings ist dazu ein "Spurwechsel" notwendig.

 (Rheinischer Merkur, Nr.  38, 2008)