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Die mediale Achillesferse der Globalisierung

Großer Einfluß der "merchants of hysteria" von angelsächsischer Provinienz: "Good news is no news"

(Auszug aus NZZ, 19, 2009, Japan-Korrespondent Urs Schoettli)

"... Tatsache ist, daß mit der unaufhaltsamen Verbreitung des Englischen ein dra- matischer Zuwachs des Einflußes der global präsententen englischsprachigen Medien einhergeht. In jedem asiatischen Land gibt es eine oder mehrere lokal produzierte englichsprachige Zeitungen. In der Volksrepublik China ist es "China Daily", in Nippon "Japan Times" oder "Daily Yomiuri". Einheimische Zeitungs- macher sind diese Zeitungen allerdings nicht. Englischsprachige Zeitungen, die über die temporär niedergelassenen Expatriates hinaus lokal von Bedeutung sind, gibt es in Singapur und in Hongkong, in Pakistan und Indien. Bei Vergleichen über das Geschäften in China oder Indien kann die Tatsache, daß man als Ausländer in  Indien den direkten Zugang zu Medien hat, die nicht nur frei, sondern auch für die nationale Meinungsbildung relevant sind, als wichtiger Standortfaktor ins Feld ge- führt werden.

Das die internationalen Rating-Agenturen bei der rechtzeitigen Warnung vor einer Finanzmarktkrise sträftlich versagt haben, ist bekannt. Weniger bewußt sind sich viele des Klumpenrisikos, das sich aus den beschränkten Informationsquellen er- gibt, aus denen Anlageberater und Börsenanalytiker ihr Wissen schöpfen. Beson- ders probelmatisch wird es zudem, wenn einflußreiche Medien sich in ihrer Wirt- schafts- und Finanzberichterstattung der Kommentare der ewiggleichen Markt- beobachter und Anlagespezialisten bedienen. Hier kann es jeweils zu sehr ver- kürzten und dementsprechend auch riskanten Informationsflüssen kommen. Wer das Ohr der "Financial Times" oder von BBC World Service besitzt, kann beträcht- liche Multiplikatoreffekte auslösen.

Tatsache ist jedenfalls, daß sich die asiatischen Eliten ihre Weltkenntnis und ihre Informationen zum Geschehen in der Weltwirtschaft, sosie denn ausländische Medien konsultieren, praktisch ausschließlich aus dem angelsächsischen Medien beschaffen. Dominant sind mit CNN, CNBC, "Time", "Newsweek", dem "Asian Wall Street Journal" und der "International Herald Tribune", die Amerikaner. Von den Europäern vermögen sich allein die Briten mit dem BBC World Service, dem "Economist" und der "Financial Times" ein - wenn auch limitiertes - Gehör zu ver- schaffen. Kontinentaleuropäische Medien erscheinen dagegen, was die asiatischen Eliten betrifft, beinahe unter Auschluß der Öffentlichkeit. Kommt hinzu, daß allein die "International Herald Tribune", die "Financial Times" und das "Asian Wall Street Journal" in asiatischen Staaten gedruckt werden und damit gleich zum Ar- beitsbeginn verfügbar sind.

Auch ohne den Medien unterstellen zu wollen, daß sie eine bestimmte Weltsicht propagieren und damit auf das internationale Wirtschaftsgeschehen in eine geziel- te  Richtung Einfluß ausüben, muß doch die Verengung des Informationsflusses bedenklich stimmen. Tatsache ist, daß heute Kontinentaleuropa von den asia- tischen Eliten vielfach nur noch durch die Brille von Korresponten angelsäch- sischer Medien wahrgenommen wird. Dies hat weitreichende Konsequenzen, wenn man etwa an die bekannten britischen Vorurteile gegenüber Frankreich, Deutsch- land oder Spanien denkt. So wurde über Jahre hinweg in vielen angelsächsichen Medien belächelt, daß sich die Kontinentaleuropäer noch darum bemühten, Land- wirtschaft und Industrien zu unterhalten, wo doch vorgeblich nur noch mit Finanz- dienstleistungen das große Geld zu machen sei...

Welche Relevanz hat dies nun für die derzeitige Krise? Eine besondere Spezialtität der angelsächsichen Medien ist das "Kommentariat". Tagtäglich wird auf mehreren Seiten nicht berichtet, sondern doziert, werden Meinungen breitgeschlagen. Personalisierte Kolumnen dominieren, und Woche für Woche bekommt der Leser vorgesetzt, was Mister X nun über den Gang der Dinge so denkt. Einzelne dieser Kommentatoren haben den Status von Gurus erreicht, und pflichschuldigst wird nachgebetet, was sie schreiben. Der Konfernzzirkus und die Medien spielen sich dabei gegenseitig hoch. Schließlich wird ein Meinungstrend gesetzt, gegen den  sich kaum noch jemand mit einer abweichenden Ansicht durchsetzen kann.

Wer in diesem kurzatmigen Wettbewerb um die verkaufsträchtige Schlagzeile überleben will, muß sklavisch der Doktrin "Good news is no news" huldigen. Andernfalls wird sein Beitrag gar nicht abgedruckt. In diesen Tagen endet bei spielsweise fast jeder Bericht über China mit der Warnung von sozialer Unrast. Was die chinesische Regierung an weitsichtigen Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft unternimmt, geht unter. Pechschwarze Prognosen über die indische Wirtschaft wurden nach den Attentaten in Mumbai spaltenlang breitgeschlagen. Der erfreuliche Tatsache, daß Indiens kosmopolische Wirtschaftsmetropole nach dem feigen Terrorakt nicht in sinnloser Gewalt versank, fand kaum Beachtung.

Die Krise in der Welt ist real und braucht nicht herbeigeredet zu werden. Doch Meinungen und Verhaltensweisen werden entscheidend auch durch den Informa-tionsfluß geprägt - und in dieser Hinsicht werden pessimistische Schlagzeilen zu sich selbst bewahrheitenden Prophezeiungen. Ein Londoner Bekannter, der als Währungsspezialist sein gerüttelt Maß an Auf und Ab in der Welt gesehen hat, liegt nicht falsch, wenn hinter dieser Art von Sensationalismus manchen prominenten Exponenten des journalistischen "Kommentariats" sieht und ihn treffend als "merchant of hysteria" bezeichnet."