~~ CHRISTLICH - SOZIALE POSITION ~~ ~~~ ~~~ INITIATIVE MENSCH & ARBEIT ~~~~~~~~~~~~~

Achtzig Jahre Heiner Geißler

Heiner Geißler auf CDA-Bundestagung 2007 in Karlsruhe (Foto: M. Gerhardt)

Kaum glaublich, daß Heiner Geißler seinen 80. Geburtstag feiert. Wer ihn in Talkshows gesehen hat, in denen er oft als Einziger nachvollziehbare Gedanken entfaltete, mit seiner Lebhaftigkeit, der intellektuellen Beweglichkeit und polemischen Lust am Widerspruch, kommt nicht umhin, Alter als etwas höchst Relatives zu begreifen. Der einstige Generalsekretär der CDU, der mit Kohl antrat und sich mit Kohlwieder zerstritt, ist der vielleicht letzte jugendlich dynamische Geist der Partei, dem die Neuerungen der Gegenwart keine Zumutung, sondern eine willkommene Herausforderung sind. Früher als andere hat er erkannt. daß Deutschland ein Einwanderungsland ist und eine multikulturelle Gesellschaft braucht, früher auch gesehen, daß die CDU jede Glaubwürdigkeit verlöre, wenn sie sich dem Marktradikalismus auslieferte. Daß er seine Erkenntnisse auch offen, gerne zugespitzt ausspricht und nicht hinter dämpfenden Wortnebeln dem dumpferen Milieu der Partei bequem macht, hat ihm den Ruf eines Querkopfes eingetragen. Tatsächlich ist er nichts weniger als das. Er beharrt nur auf einer illusionslosen Anerkennung der sozialen Realtität und, nicht zuletzt, auf einer engagiert christlichen Ethik. Er ist deswegen übrigens auch noch kein Linker, wie manche meinen. Daß er mit seiner Haltung in der Partei als linker Querkopf gelten kann, zeigt nur die Tiefe des Absturzes, der droht, wenn er einmal nicht mehr da wäre. Er ist nämlich, was gerne übersehen wird, auch die letzte Identifikationsfigur, die ein gebildetes Herkunftsbürgertum in der CDU findet, die sonst nur noch von mehr oder weniger schneidigen, meist aber lediglich bornierten Aufsteigern beherrscht wird. Vor allem aber ist er der letzte Konservative (das ist er wirklich), für den Konservatismus mehr als bloßer Machterhalt bedeutet. Nichts zeigt seinen Kampfesmut besser, als daß er sich von der Partei zum Gebursttag eine Podiumsdiskussion mit dem Philosophen Peter Sloterdijk wünschte, der in so ziemlich allen Punkten, die Geißler am Herzen liegen, die gegenteilige Auffassungen vertritt - mit seiner Verachtung des Christentums, dem sozialdarwinistischen Gedanken der Auslese, zuletzt mit der Empfehlung, den Sozialstaat abzuschaffen. Der altereuropäische Christ gegen den neuheidnischen Philosophen - ein Kampf der Giganten.  Natürlich wissen wir, wen wir siegen sehen wollen. Denn wir sind vielleicht nicht immer für die CDU, aber immer für die Partei von Heiner Geißler.

ZEIT, 10, 2010 - Jens Jessen